Rede von Christoph Ozasek zur Generaldebatte Klimaschutz am 22.2.2024

Am 22. Februar 2024 fand im Stuttgarter Gemeinderat die Generaldebatte Klimaschutz statt. Für PULS sprach unser klimapolitischer Sprecher Christoph Ozasek:

Herr Oberbürgermeister, werte Kolleg*innen,

hinter uns liegt das heißeste Jahr in 125.000 Jahren Erdgeschichte. Der fiebrige Zustand unseres Planeten ist alarmierend. Nach Daten des IPCC ist in fünf Jahren und fünf Monaten das verbliebene CO2-Budget zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels erschöpft. Sechs von neun definierten planetaren Grenzen sind bereits überschritten. Wir müssen heute wirksame Antworten geben – auf eine Ära der multiplen Krisen, auf ein Weltklima in Not. Wir alle müssen begreifen: Kippelemente im Erdsystem sind Kipppunkte unserer Demokratien.

Der Blick in den neuen Klimaatlas zeigt, was den 2,8 Millionen Menschen in unserer Region bevorsteht. Stuttgart ist bedingt durch die topografische Kessellage wie keine zweite Großstadt gefährdet. Klimasimulationen offenbaren wahlweise eine 2-Grad- oder eine 3-Grad-Welt, mit allen Konsequenzen: andauernde Hitzewellen, Dürre, klimawandelbedingte Wetterextreme. Wir erkennen die Vorboten einer Wasser- und Waldkrise. Die Ökosystemgrenzen verschieben sich so rasant, dass die natürliche Anpassungsfähigkeit von Flora und Fauna versagt.

Klimaschutz ist ein moralischer Imperativ. Klimaresilienz herzustellen ein Gesellschaftsvertrag, der uns alle binden muss. Mit dem Klimaneutralitätsziel hat der Stuttgarter Gemeinderat 2022 ein starkes Bekenntnis abgegeben, nun gilt es ehrlich Bilanz zu ziehen. Stuttgart soll bis 2035 klimaneutral sein – dieser Zielbeschluss war in der Tat historisch. Doch der Gemeinderat hat der Verwaltung keinen Freibrief gegeben, Herr Oberbürgermeister, sondern mit dem Antrag 247/2022 ein Lastenheft formuliert, das bis heute nicht abgearbeitet wurde. Daher gibt es von PULS heute eine deutliche Ermahnung.

1. Die Klimarelevanz aller politischer Entscheidungen sollte künftig in geeigneter Weise ermittelt und in Beschlussvorlagen transparent gemacht werden. Aufgrund der Klimaintensität des konventionellen Bauens mit Stahlbeton gilt dies besonders für Infrastrukturvorhaben. Eine solche qualifizierte Klimafolgenbilanzierung erkennen wir bis heute nur in Ansätzen – sie ist aber die Basis für eine klimasensitive Verwaltungskultur.

2. Die Verwaltung erhielt die Aufgabe, dem Gemeinderat einen Vorschlag bis zum Herbst 2022 für ein CO2-Restbudget vorzulegen – mit dem Ziel, einen Reduktionspfad auf Basis des Pariser Klimaabkommens auszuarbeiten. Denn die städtische Klimabilanz ist ein mangelhaftes Instrument der klimapolitischen Steuerung. Warum? Sie verbucht strukturwandelbedingte Effekte wie die Verlagerung energieintensiver Industrieproduktion als „Erfolge“, genauso wie den bundesweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das muss man vor dem Hintergrund, dass in Stuttgart noch immer Eiszeit herrscht bei der Aktivierung erneuerbarer Energie- und Umweltwärmepotentiale – ob Solar, Wind, Geothermie oder Flusswärme – klar als Greenwashing bezeichnen. Ein Vorschlag für das CO2-Restbudget unter Berücksichtigung vor- und nachgelagerter Emissionen liegt bis heute nicht vor. Und das, obwohl die Scientists for future der Fachverwaltung eine einfache Methodik aufgezeigt haben.

Und 3.: Die Verwaltung wurde von uns beauftragt, für alle Maßnahmen der Net-Zero-Studie Umsetzungskonzepte auszuarbeiten. Weder liegen uns diese vor, noch wurde in den politischen Gremien über die 13 Maßnahmenpakete selbst debattiert, die McKinsey unterbreitet hat. Auch der parallel dazu ausgearbeitete Klimamobilitätsplan wird vom Grundsatzreferat zurückgehalten und seit vielen Monaten nicht zur Beratung in die Gremien eingebracht.

Bezeichnend war auch die Verweigerungshaltung von Teilen des Gemeinderats wie auch der Fachämter gegenüber dem Klima-Bürger*innenrat. Hier mangelt es nicht nur an Wertschätzung gegenüber den in vielen Arbeitsstunden erarbeiteten Empfehlungen - es mangelt an Umsetzungswille.

Doch bei aller Kritik gibt es auch Erfolge. In den letzten 12 Monaten ist es gelungen, die strategischen Zielsysteme für unsere Stadtwerke, die SWSG und unsere SSB auf das Klimaziel 2035 auszurichten. Ein politischer Durchbruch. Damit verbindet sich ein Investitionsprogramm von 3 Milliarden Euro in die Energie- und Wärmewende, sowie 3,4 Milliarden Euro in Erhalt und Ausbau unseres ÖPNV. Die SWSG soll Bestandshalter von 30.000 klimaneutralen und leistbaren Wohnungen werden. Diese Strategien machen unsere städtischen Gesellschaften zu Motoren der sozialen Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende. Genauso vorbildlich agieren wir mit der neuen Forsteinrichtung für einen klimaresilienten Zukunftswald.

An dieser Stelle möchte ich meinen Dank an die fachpolitischen Sprecher*innen aller demokratischen Fraktionen richten: Dieses Arbeitspaket war immens, aber wir haben beachtliche Verhandlungsergebnisse erzielt, zum Wohl der Stadt. Und darauf können wir stolz sein. Ebenso kräftezehrend waren die Haushaltsverhandlungen. Wir alle sind mit diesem Beratungsmarathon an persönliche Belastungsgrenzen gekommen. Das Wesen der Kommunalpolitik ist der Aushandlungsprozess, das Ringen um Lösungen – und schließlich der Kompromiss.

Deshalb möchte hier eines in aller Deutlichkeit hervorheben: Das Bündnis aus Grünen, SPD und PULS hat ein klimapolitisches Mega-Paket geschnürt. Nie wurden in diesem Ratssaal größere Anstrengungen für Klimaschutz und klimaresiliente Stadttransformation unternommen. Nach der politischen Scheidung zwischen Grünen und CDU im Stuttgarter Rathaus ist mit diesem 11,2 Mrd. Euro schweren Mega-Haushalt endlich ein klimapolitischer Durchbruch gelungen. Ja, es tut Stuttgart gut, die CDU auf die Ersatzbank zu schicken. Den Klimawandel bekämpft man nicht mit Parolen aus den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegsära, auch nicht mit Jammern auf höchstem Wohlstandsniveau. Das geht nur mit echtem Veränderungswillen.

PULS verändert das politische Koordinatensystem der Stadt. PULS wirkt als klimapolitisches Korrektiv – als treibende Kraft für die Mobilitätswende und den Klimaschutz. Und zwar mit dem klaren Zukunftsbild, Stuttgart als grün-blaue Schwammstadt neu zu erfinden.

Erst formen wir Städte, dann formen sie uns“, diesem Satz des legendären Stadtplaners Jan Gehl folgend, packen wir die Mensch-zentrierte Umgestaltung Stuttgarts an: Die autobefreite Innenstadt, den „Neuen Stadtraum B14“, die Superblocks, und Schulstraßen nach Pariser Vorbild. Allein mit der Verdopplung des Etats für die Echte Fahrradstadt katapultiert sich Stuttgart an die Spitze der oft zitierten Metropolen.

Dank PULS wird Klimasanierung großgeschrieben. Mit einem anwachsenden Investitionsprogramm für neue Straßenbäume, die künftig ein schützendes Blätterdach in den hitzebelasteten Quartieren aufspannen. Mit der auf Initiative von PULS beschlossenen Klimaleitplanung fördern wir ein gesundes Wohnumfeld besonders dort, wo arme Menschen leben: in den hitzebelasteten und von Straßenverkehrslärm geplagten Quartieren. Diese präventive Klimaanpassung ist Stadtreparatur, und macht Stuttgart lebens- und liebenswert.

Auf Initiative von PULS werden künftig urbane Mikrowälder entstehen, Permakulturprojekte gefördert, der ökologische Landbau auf Stuttgarter Gemarkung vorangebracht, ebenso die Wertschätzung für Lebensmittel. Wir stärken als Haushaltsbündnis viele Graswurzelinitiativen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung Stuttgarts einsetzen. Ihnen gilt unser großer Dank, denn ohne das Ehrenamt können wir den Veränderungsprozess für ein klimagerechtes Stuttgart nicht in Gang bringen.

Unser Dank richtet sich auch im Besonderen an unsere städtischen Beschäftigten, in den Ämtern, bei den Stadtwerken, der SSB, der SWSG: Ihr seid die wichtigste Ressource, die wir haben. Auch deshalb ist dieser Haushalt ein gigantischer Personalhaushalt, um Stuttgart als Arbeitgeberin attraktiv zu machen.

Und damit komme ich zum letzten Punkt: Zentrales Element des neuen Haushalts ist die Kreislaufwirtschaftsstrategie, für die sich PULS lange stark gemacht hat. Zirkularität ist der eigentliche Game-Changer, der Ausstieg aus dem zerstörerischen Raubbau an kritischen Ressourcen und unseren fruchtbaren Böden. Wir dürfen nicht länger ignorieren, dass 50 % der globalen Emissionen auf den Bausektor entfallen. Zirkularität ist der Schlüssel zu klimagerechtem Planen und Bauen.

Daher liegt Ihnen heute ein Antrag von PULS vor, den CO2-Schattenpreis als wissenschaftsbasiertes Instrument der Transformation auf das vom Umweltbundesamt empfohlene Niveau anzuheben. Wir hätten diesen Grundsatzbeschluss gerne heute gefasst, doch wieder einmal ist die Verwaltungsspitze – trotz eines Monats Vorlauf – nicht in der Lage, sich zu diesem Anliegen zu verhalten. Kein Ruhmesblatt, Herr Oberbürgermeister, sondern eine erneute Missachtung des Gemeinderats.

Auf 100 Milliarden Euro summieren sich die Klimaschulden Stuttgarts alleine seit 1990, und die Hypothek wächst stetig. Wir brauchen keine Schuldenbremse, die Zukunftsinvestitionen behindert, wir brauchen eine Schuldenbremse für Klimaschäden – auch für unsere Beteiligungsgesellschaften. Denn noch immer wird Profit mit Investitionen in die Kohlenstoffblase erzielt – beispielsweise durch unsere Tochter LBBW, die aktuell Milliardensummen in Fracking-LNG-Gas investiert.

Für PULS hat Klima Priorität. Deshalb: Runter vom Gas, rauf auf die Pedale!