Kein rechtsfreier Raum in Stuttgart

Am Karsamstag zogen 15.000 Demonstranten der Querdenker:innen-Bewegung unter Missachtung der Auflagen ungehindert durch Stuttgart. Wir kritisieren, dass Verwaltung und Polizei schlecht vorbereitet waren und die Situation verharmlost haben. Das darf in Zukunft nicht mehr passieren.

„Wenn wir Verstöße haben, wenn Unfriedlichkeit entsteht, wir schreiten ein. Es gibt in Stuttgart keine rechtsfreien Räume”. Das verkündete Carsten Höfler, Leiter der Stuttgart Schutzpolizei, zwei Tage bevor 15.000 Querdenker:innen uns eines Schlechteren belehrten [1].

Für letzten Samstag wurden 10 Demos aus dem Spektrum der Corona-Skeptiker:innen angemeldet und vom Ordnungsamt genehmigt. Letztendlich versammelten sich die Demonstrant:innen am Marienplatz und zogen auf den Wasen, wo Querdenken-711-Gründer Michael Ballweg seine Kundgebung veranstaltete. Ohne Masken. Ohne Abstand. Die Polizei sah sich außer Stande, die Auflagen durchzusetzen oder - wie es in diesem Fall notwendig gewesen wäre - den Demonstrationszug aufzulösen. Es gab berechtigte Angst vor Eskalation und Gewalt. Einsatzleiter Höfler konnte sein Versprechen nicht halten.

„Die Bilder aus Stuttgart sind nicht schön, aber sie sind kein Vergleich zu den jüngsten Ereignissen in Brüssel, Kassel oder Dresden”, verlautbart Ordnungs-Bürgermeister Dr. Clemens Maier noch am Samstagabend in den sozialen Medien [2]. Bis zu 15.000 Menschen, die ungehindert ohne Masken und Abstand durch die Stadt ziehen, sind mehr als nur ein unschönes Bild. „Insgesamt verliefen die Versammlungen und Aufzüge friedlich”, verkündete die Polizei letzten Samstag in einer Pressemitteilung [3].

Was ist daran friedlich, wenn abertausende Menschen mutwillig die Gesundheit und das Leben anderer aufs Spiel setzen? Laut einer aktuellen Studie infizierten sich zwischen 16.000 und 21.000 Menschen als Folge zweier Großdemonstrationen in Berlin und Leipzig November letzten Jahres [4]. Das bringt unser Stadtrat Thorsten Puttenat (die Stadtisten) auf den Punkt: „Wer die Gesundheit anderer mutwillig in Gefahr bringt, handelt nicht friedlich.”

Kein klares Zeichen der Stadt

Laut Stadtverwaltung schien es rechtlich unmöglich zu sein, die angemeldeten Demonstrationen zu verbieten. Ein Verbot hätte vor Gericht gekippt werden können. Darum wurde es nicht einmal versucht. Mit einem - wenn auch wenig Erfolg versprechenden - Verbot hätte die Stadt zumindest ein klares Zeichen gegen die Querdenken-Bewegung setzen können. Es ist den Bürger:innen kaum zu vermitteln, warum man es nicht einmal versucht, inmitten der dritten Welle Demos einer mittlerweile radikalisierten Bewegung zu unterbinden.

„Der überwiegende Teil der Demonstranten trug keine Masken und hielt die geforderten Abstände nicht ein. Mehrfache Hinweise der Polizei zur Einhaltung der Auflagen wurden von den Teilnehmern ignoriert”, vermeldete die Polizei in einer ersten Bilanz [5]. Da sie aufgrund der emotionalisierten Stimmung der Querdenker:innen fürchteten, dass es zur Eskalation und Gewalt kommen könnte, beschloss die Polizei, den Demozug nicht aufzulösen.

“Sie alle [die Demonstrant:innen, die gegen die Auflagen verstießen] und auch die Versammlungsleitung müssen mit Anzeigen und Ermittlungsverfahren rechnen [6]” schreibt die Polizei in einer Pressemeldung am Abend des Karsamstags. Wir fragen uns: Wie soll das geschehen?

Rechtsfreier Raum

Ein Verwaltung, die es nicht einmal versuchte, die Demos zu verbieten und eine Polizei, die dem Geschehen verständlicherweise nicht gewachsen war, haben eben jenen rechtsfreien Raum ermöglicht, den Einsatzleiter Höfler verhindern wollte. Die Stadt zeigte sich ohnmächtig. Für all jene, die sich an die Einschränkung ihrer Grundrechte halten, ist das Geschehene ein Schlag ins Gesicht. Das Vertrauen in die Fähigkeit des Staats, das Recht durchzusetzen, hat großen Schaden genommen. „Die Polizei und die Verwaltung hat einfach getan, was sie immer tut, sich für Randerscheinungen eingesetzt, egal was für den Rest der Stuttgarter:innen bedeutet. Vergleiche dazu: Feinstaub, SUVs, Großkonzerne, … . Ich bin genauso emotionslos enttäuscht wie sonst auch”, sagt PULS-Stadträtin Ina Schumann (Die PARTEI).

Jetzt geht es jedoch nicht darum, die Schuldigen auszumachen. Wir wollen nach vorne schauen. „Wir begrüßen sehr, dass OB Dr. Frank Nopper zwei für den am 17. April angemeldeten Demos aus dem Querdenker:innen-Spektrum nicht genehmigt” sagt Stadträtin Verena Hübsch (Junge Liste). „Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper begründete dies damit, dass sich die Anmelder bei Versammlungen in der Vergangenheit als unzuverlässig im Sinne des Versammlungsrechts erwiesen hätten und deswegen keine Gewähr dafür gegeben sei, dass Versammlungsauflagen eingehalten werden” so die Pressemitteilung der Stadt. [7]

Warum erst jetzt und wie geht es weiter?

Wir Fragen: Warum erst jetzt? Dass die Auflagen nicht eingehalten werden würden, war auch schon vor dem Karsamstag offensichtlich. Unsere Fraktion war die einzige, die sich im Vorfeld nach der Strategie der Stadtverwaltung erkundigte, jedoch keine Antwort bekam. Die Verwaltung begründete ihre Genehmigung der Demos am Karsamstag damit, dass sie davon ausging, dass ein Verbot vor Gericht hätte angefochten werden können oder dass die Demonstrant:innen dann unangemeldet und unkontrolliert durch die Stadt gezogen wären. Diese Gefahr besteht weiterhin. Die Querdenker:innen-Bewegung ist sehr gut vernetzt und hat schon vielfach bewiesen, dass sie sich von Verordnungen nicht aufhalten lässt.

Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass so schnell wie möglich eine Task-Force aus der Stadt- und Landesverwaltung und der Polizei gegründet wird, um alle Möglichkeiten auszuloten, dass so etwas in Stuttgart nie wieder passieren kann. Stadträtin Deborah Köngeter (die Stadtisten) sagt: „Es geht zuletzt auch darum, dass wir im gemeinsamen Kampf gegen Corona diejenigen nicht verlieren, die bislang vernünftig und verantwortungsbewusst mit der Pandemie-Lage umgehen.”

[1] https://twitter.com/i/status/137756345126715392

[2] https://www.facebook.com/Stadt.Stuttgart/posts/5315533225185972

[3] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110977/4880929

[4] http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp21009.pdf

[5] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110977/4880885

[6] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110977/4880929

[7] https://www.stuttgart.de/service/aktuelle-meldungen/april-2021/stadt-stuttgart-verbietet-demonstrationen-von-sogenannten-querdenkern-am-17.april.php