Der Kessel brummt – und doch knirscht es

Was für ein Sommer! Fast war's im Kessel wie früher: Die Stadtteilfeste kehrten ebenso zurück wie der Fischmarkt und das Weindorf, und schon bald darf OB Nopper mit dem Fassanstich auf dem Wasen endlich seinen politischen Traum verwirklichen. Auch die Kulturbranche ist nach zwei Jahren Pandemie wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Die Besucherzahlen der Megakonzerte auf dem Wasen oder beim Jazz Open zeigen, wie sehr sich die Stuttgarter*innen nach Kultur und Live-Events sehnten. Leider trügt der Schein: Märchenhafte Zahlen schreiben nur die Großen. Die kleineren Veranstalter*innen in Stuttgart kämpfen mit einem massiven Besucher*innenschwund, manchen ist gerade mal ein Drittel ihres Publikums geblieben. Aufgrund des großen Fachkräftemangels im Live-Sektor und der gestiegenen Personalkosten werden Konzerte zum Minusgeschäft, zumal es in Stuttgart noch immer an kleineren Bühnen für 300-400 Menschen mangelt. Die Sorge vor Corona ist weiter berechtigt, dennoch möchten wir an die Stuttgarter*innen appellieren, auch unsere Kulturschaffenden vor Ort zu unterstützen und ihnen ihre Wertschätzung zu zeigen. Besonders angesichts der multiplen Krisen unserer Gegenwart und einer Gesellschaft, der es immer schwerer fällt, Ambivalenzen auszuhalten, ist es wichtig, die kulturelle Vielfalt zu bewahren. Ob im Theater oder im Programmkino, auf einer Lesung oder einem Konzert: Wir brauchen kulturelle Impulse, um uns zu hinterfragen und den eigenen Wertekompass zu prüfen – und zwar mehr denn je.