170/2022 | Ausstieg aus dem Erdgas jetzt forcieren

Wir beantragen im Zusammenhang mit dem gegenwärtig erarbeiteten Klimafahrplan folgende Antragspunkte im Ausschuss für Klima und Umwelt zur Beratung und Beschlussfassung
aufzurufen:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart bekennt sich zum schnellstmöglichen Ausstieg aus der Abhängigkeit vom fossilen Energieträger Erdgas.
2. Die Förderrichtlinien des kommunalen Energiesparprogramms sowie das Heizungsaustauschprogramm für Kohleöfen oder Öl-Kesselanlagen werden in diesem Sinne fortgeschrieben, um Fehlanreize zur Beheizung von Gebäuden mittels Gas zu beseitigen.
3. Der Ausstieg aus Erdgas wird zentrales Element in der Klimaschutzkampagne der Stadt, mit dem Ziel, Gasheizungen, Gaskochherde, Wassererwärmer, Raumheizgeräte und weitere Geräte mit Gasanschluss zu ersetzen.
4. Die Fachverwaltung wirkt über das Energieberatungszentrum und im direkten Austausch mit der hiesigen Wirtschaft darauf hin, den Einsatz klimaneutraler Technologien, inbs. die eWärmepumpe, zu forcieren, und richtet hierzu Fortbildungsforen und Qualifizierungsprogramme für einen gewerkeübergreifenden klimaneutralen „Stuttgart Standard“ aus.
5. Gegenüber der EnBW wird Seitens der Stadtverwaltung die klare Position eingenommen, dass ein Energieträgerwechsel („fuel switch“) in den Kraftwerken entlang der Wärmeachse des Neckars auf Erdgas abgelehnt wird. 
6. Die Beteiligungsverwaltung wird angewiesen, Gesellschafterverträge und Satzungen kommunaler oder kommunal mitbestimmter Unternehmen dergestalt anzupassen, dass keine neuen Investitionen in Erdgas-Infrastruktur, Erdgas-Netze oder entsprechende Anlagentechnik getätigt werden.
7. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert, als Mitglied des Aufsichtsrats der Landesbank Baden-Württemberg darauf hinzuwirken, dass die LBBW in Zukunft keine Finanzierung für Erdgas-Assets bereitstellt.

Begründung:

Mit der Schärfung des Klimaneutralitätsziels der Landeshauptstadt zum Sommer 2022 wird die Zeitspanne für den Dekarbonisierungspfad deutlich verkürzt. Erdgas, das in der städtischen Energiebilanz 2019 mit 6.144 GWh den dominierenden Anteil importierter fossiler Energie einnimmt, darf ich diesem Zusammenhang nicht länger als Übergangstechnologie betrachtet werden. Doch als solche ist sie noch immer in der Energiestrategie der Stadt, in den Energiesparprogrammen und im Gesellschaftervertrag der Stadtwerke gesetzt.  Den dringenden Handlungsbedarf im Gebäudesektor hat das Umweltbundesamt in seinem Emissionsbericht für 2021 aufgezeigt. Bereits zum zweiten mal in Folge wurden in diesem Sektor sowie in den Sektoren Verkehr und Energiewirtschaft die CO2-Einsparungsziele
dramatisch verfehlt. Laut Klimaschutzgesetz müssen die zuständigen Ministerien nun innerhalb von drei Monaten Sofortprogramme aufsetzen um korrigierend einzugreifen. Ohne einen schnellen Ausstieg aus fossiler Energieträgern bei der Gebäudeheizung kann das nationale Sektorziel nicht erreicht werden. Spätestens seitdem die EU-Kommissionen im Wege der Taxonomie das EU-Parlament übergangen und Investitionen in Erdgas fälschlicherweise als klimafreundlich einordnet, sowie die Bundesnetzagentur für die Regulierungsperiode 2023-2027 eine Eigenkapitalverzinsung von fünf Prozent für die Netzbetreiber festgelegt hat, ist klar, dass ein übergreifender Ordnungsrahmen sowie eine notwendige regulatorische Lenkungswirkung für den Erdgasausstieg bislang fehlt. Auch weiterhin fördert die KfW bzw. das BAFA Gasbrennwertheizungen in Gebäuden.
Wir als Landeshauptstadt müssen daher eigeninitiativ die Abhängigkeit von diesem fossilen Energieträger, der vorwiegend aus autokratischen Regimen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen bezogen wird, und dessen Förderung massive Auswirkungen auf die Schutzgüter Mensch (Setzungen und Erdbeben), Umwelt („fracking“) und Klima (Pipeline-Leckagen / Freisetzung von Methan) hat, sukzessive verringern. Unser Wärmesystem ist - entgegen der Maßgaben des Energiewirtschaftsgesetzes - aktuell weder sicher, verbraucherfreundlich, effizient noch umweltfreundlich. Die Abhängigkeit von fossilem Erdgas ist immens, insb. im Gebäudesektor. Geopolitische Krisen, wie wir sie u.a. nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine erleben, zeigen, welche Fehlsteuerung in den letzten Jahrzehnten stattfand, dass Erdgas als politische Waffe eingesetzt wird, und wie dringend nötig ein Pfadwechsel in eine stromgeführte Wärmewende ist. Denn als politische Entscheider müssen wir Verbraucher und unsere Wirtschaft vor den Risiken einer Energiekrise schützen.
Fehlanreize für Investitionen in Erdgas in den Gebäuden/Privathaushalten zu beseitigen bedeutet gleichzeitig, Investitionsentscheidungen zugunsten der Nutzung von Umweltwärme, zur Nutzung der solaren Potentiale an der Gebäudehaut und zur energetischen Sanierung mit dem Ziel des Niedertemperaturstandards auszulösen. Der Ausstieg aus der Erdgasabhängigkeit stärkt vor allem das hiesige Handwerk. Doch hier fehlt es noch immer an Know-How. Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) schätzt, dass nur 15-30 % der Betriebe derzeit in der Lage sind, Wärmepumpen einzubauen. Daher sind Fortbildungsforen und Qualifizierungsprogramme dringend erforderlich. Vor allem sichert der konsequente Umstieg bezahlbare Preise für die Endverbraucher und
verhindert Energiearmut. Der Ausstieg aus Erdgas ist ein klimapolitischer Imperativ und eine sozialpolitische Notwendigkeit.

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