275/2022 | Gemeinschaftsbildende Wohnungstypologien für eine sozial-ökologische Stadtentwicklung

Intrafraktioneller Antrag von PULS, Die Grünen, SPD und der FrAKTION

Eine durchschnittliche Wohnung in Stuttgart ist ausweislich des Wohnungsmarktberichts 2021 heute 77,8 m2 groß und damit 0,8 m2 größer als noch im Jahr 2010. Treiber dieser Entwicklung ist der Wohnungsneubau, der vor allem große Wohneinheiten im oberen Preissegment realisiert. Die durchschnittliche Wohnfläche einer Neubauwohnung beträgt 88 m2. Gleichzeitig steigt im Zuge des demographischen Wandels und veränderter Lebensmodelle die Quote der 1-Personen-Haushalte kontinuierlich an, auf zuletzt 52 % in Stuttgart.

In Verbindung mit Fehlbelegungen durch den überhitzten inflexiblen Wohnungsmarkt und den Remanenzeffekt wächst die individuelle Wohnflächeninanspruchnahme stetig an, von 34,8 m2 in 1990 auf 40,5 m2 in 2020, während auf der Nachfrageseite der Bedarf an kleinen, leistbaren Wohnungen nicht befriedigt wird. Diese Fehlentwicklung führt zu einem Aufwuchs des ökologischen Fußabdrucks des Wohnens sowie der individuelle Belastung durch Miete und Wohnnebenkosten.

Wie kann die Spirale wachsender ökologischer und ökonomischer Lasten des Wohnens in Verbindung mit sozialen Fehlentwicklungen von Vereinzelung und vielfach Vereinsamung durchbrochen werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich u.a. das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumordnung, und empfiehlt Clusterwohnungen als gemeinschaftsbildende Wohnungstypologie für eine anpassungsfähige Stadtentwicklung.

Beim ressourcenschonenden Clusterwohnen, wie es im bekannten Hunziker-Areal in Zürich in Form einer Genossenschaft realisiert wurde, werden neben einer Vielzahl an kompakten Einzelwohnungen zusätzliche gemeinschaftsbildende Flächen, wie Terrassen, Freizeiträume, Co-Working-Spaces oder Gemeinschaftsküchen vorgehalten. So werden funktionale Mikrowohnungen mit einem flächenoptimierten Grundriss von 25 bis 35 m2 mit einer akzeptablen Gesamtmiete, wie sie vor allem Studierende, Auszubildende oder Senior*innen, aber auch Berufspendler*innen und befristet tätige Expert*innen aktuell häufig erfolglos nachfragen, noch innovativer.

Die Erstellung von Mikroapartments und Clusterwohnungen hat mehrere Vorteile:

Erstens kann zielgerichtet funktionale Wohnfläche für die oben stehende Nachfragegruppe bereitgestellt werden.

Zweitens können kleine Apartments die Bauproduktions- und Nebenkosten in einem Gebäude senken, u.a indem die Erschließungskerne mehr Wohnungen anbinden und die Geschossfläche effizienter genutzt wird.

Drittens wirken sie gemeinschaftsbildend und können über die Lebensphasen hinweg variable Nutzungen aufnehmen: von der Azubi-Studierenden-Geflüchteten-WG bis zur Senior*innen-Wohngemeinschaft in Verbindung mit ambulanten Diensten. Denkbar sind auch pilothafte Gemeinschaftswohnformen nach dem Prinzip „Housing-First”.

Viertens können sowohl der ökologische Footprint des Wohnens und somit auch der Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch gesenkt werden. Hierauf verweist die Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt in ihren Handlungsempfehlungen für den nachhaltigen Wohnungs- und Städtebau aus 2019.

Alle genannten Vorteile bilden einen Gesamtlösungsansatz für kompaktes, gemeinschaftliches und urbanes Wohnen und Arbeiten, das noch dazu beiträgt, die ambitionierten Klimaschutzziele der Stadt zu verwirklichen. Hier könnte die SWSG mit einer Quote von Mikroapartments für gemeinschaftliche Wohnformen Pionierarbeit leisten.

Das Einstreuen dieser Wohnungstypologien in die Quartiere anstatt sie in massiver Zahl großmaßstäblich auf einzelnen Baufeldern zu realisieren, wie aktuell von Investoren im Neckarpark und in der Rosensteinstraße vorgesehen, ist jedoch essentiell, um soziale Fehlentwicklungen wie Gentrifizierung, Anonymisierung und Gettoisierung einzelner sozialer Gruppen zu beherrschen. Daher schlagen wir vor, mit Quoten und Obergrenzen eine geordnete Entwicklung bei den neuen Wohnungstypologien herbeizuführen, um die positiven Effekte zu verstärken und Fehlentwicklungen einzugrenzen.

Mit entsprechenden kommunalen Leitlinien verfolgen wir das Leitbild einer Solidarischen Stadt, formuliert im Memorandum zur IBA 2027: das Zusammenleben, die Integration und Inklusion in einer Zuwanderungsregion zu fördern, die Fachkräftegewinnung und ein von Toleranz geprägtes Zusammenleben in funktional gemischten Quartieren zu ermöglichen.

Denn anwachsende Wohnungsengpässe und starke Einkommensunterschiede führen, ohne ein wirksames Gegensteuern, zu sozialräumlicher Polarisierung. Anregen würden wir, die hiesigen Hochschulen frühzeitig einzubeziehen, um die Auswirkungen von eingestreuten gemeinschaftsbildender Wohnungstypologien und damit einhergehende soziologische, wohnungsmarkt- und stadtentwicklungsbezogene Dimensionen zu erforschen. Hierbei könnte in begleitenden Studien insbesondere die Wechselwirkungen zwischen sozialer Vereinsamung und Wohntypologie beleuchtet, und aus den Erkenntnissen von good-practice-Beispielen eine Handreichung für Bauträger*innen erstellt werden.

Wir beantragen deshalb:

1. Die Verwaltung unterbreitet dem Gemeinderat einen Vorschlag, wie im Zuge der künftigen Konzeptvergabe im Geschosswohnungsbau (vgl. Beschlusspunkt 2 der GRDrs 146/2021 Neufassung) Mikroapartments und Clusterwohnungen eine entsprechende Gewichtung erfahren können.

2. Die Verwaltung prüft, wie die Stadt mittels städtebaulicher Verträge und über die Förderung gebundener Wohnungen auf Bauträger*innen einwirken kann, um sowohl eine Mindestquote als auch eine Obergrenze zur Herstellung von Mikroapartments und Clusterwohnungen festzusetzen.

3. Die Verwaltung prüft zusammen mit der SWSG, wie bei Neubau- und Revitalisierungsvorhaben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft eine Quote an Mikroapartments und gemeinschaftlicher Wohnformen, wie Clusterwohnungen, realisiert werden kann.

4. Die Verwaltung erörtert mit dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen die Möglichkeiten, Clusterwohnungen im Landeswohnraumförderungsgesetz (LWoFG) als Fördertatbestand zu verankern bzw. klärt die Modalitäten, wie auf Basis der bestehenden Verwaltungsvorschrift für den Wohnungsbau Clusterwohnungen in Stuttgart gefördert werden können.