6/2024 | Zweiter Versuch: Stuttgart setzt ein Zeichen für eine menschliche Flüchtlingspolitik

Interfraktioneller Antrag von Die Grünen, SPD, Die FrAKTION, PULS und Einzelstadträtin Sibel Yüksel

Am 26. Mai 2023, also vor über einem halben Jahr, haben die unterzeichnenden Fraktionen den folgenden Antrag gestellt:

„Angesichts der zahlreichen humanitären Krisen weltweit ist es grundlegend wichtig, dass Stuttgart unvermindert für die Werte der Freiheit und Demokratie sowie für die Grundsätze der humanitären Hilfe einsteht. Mit unserer Resolution zur Aufnahme geflüchteter Menschen vom 17.02.2023 hat die Mehrheit des Gemeinderats ihre volle Solidarität mit allen Menschen erklärt, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns flüchten, und erneut bekräftigt, dass wir uns nach Kräften für eine schnelle und humanitäre Aufnahme der geflüchteten Menschen einsetzen.

Bereits 2018 hatte sich der Gemeinderat erfolgreich dafür eingesetzt, dass sich Stuttgart einer Initiative der Städte Köln, Düsseldorf, Bonn und anderer anschließt, die ihre Bereitschaft gegenüber der Bundesregierung erklärten, Menschen aus der Seenotrettung im Mittelmeer aufzunehmen. Die Potsdamer Erklärung der „Städte Sicherer Häfen“ wurde von Oberbürgermeister Nopper im Namen der Stadt Stuttgart im Oktober 2021 unterschrieben:

„Damit ist die Landeshauptstadt Stuttgart offiziell Partner im Bündnis Städte Sicherer Häfen/Seebrücke. Städte bekunden im Rahmen dieses Bündnisses nachdrücklich ihre Bereitschaft, aus Seenot gerettete Menschen zusätzlich aufzunehmen.“

Mit dem Betritt hat sich Stuttgart auch zur Seenotrettung im Mittelmeer bekannt und spricht sich gegen deren Kriminalisierung aus. Mit der Übernahme einer Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff wollen wir nun dieses Bekenntnis weiter bekräftigen und ein Zeichen setzen – für eine menschliche Flüchtlingspolitik und gegen Abschottung.

Da die Europäische Union die staatliche Seenotrettung faktisch eingestellt hat, verbleiben lediglich die zivilen Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Das Mittelmeer ist seit einigen Jahren die tödlichste Seeroute der Welt. 2022 sind schätzungsweise 2.400 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken, 2023 sind es bereits 600. Eine Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff leistet einen aktiven Beitrag zur Seenotrettung im Mittelmeer und hilft Leben zu retten. Wir lassen niemanden ertrinken.

Deshalb beantragen wir:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart übernimmt eine Schiffspatenschaft für zwei Jahre (2024 und 2025) und unterstützt ein von der Verwaltung ausgewähltes Rettungsschiff jährlich mit einem Zuschuss von 10.000 Euro. Zusätzlich prüft die Stadt die Durchführung einer Spendenaktion in der Öffentlichkeit zur Aufstockung des Spendenbetrags.

2. Mitte 2025 wird die Patenschaft evaluiert und über eine mögliche Fortsetzung entschieden.

3. Der Antrag wird in einer der nächsten Sitzungen des Verwaltungsausschusses vorberaten und in der darauffolgenden Vollversammlung abgestimmt.“

Dieser Antrag wurde am 15.12.2023 vollkommen unangemessen von der Verwaltung – wie im Folgenden dargestellt – beantwortet:

„Im Jahr 2020 hat sich die Stadt Stuttgart zum „Sicheren Hafen“ erklärt und 2021 die Potsdamer Erklärung unterzeichnet.

Falls die antragstellenden Fraktionen die Seenotrettung im Mittelmeer aktiv unterstützen wollen, bedarf es entsprechender gemeinderätlicher Beschlüsse [sic!] Vor einer Beschlussfassung muss das Regierungspräsidium Stuttgart gebeten werden zu prüfen, ob eine kommunale finanzielle Unterstützung derartiger Anträge auch in Baden-Württemberg zulässig ist.

Dr. Frank Nopper“

Der erste Satz ist im Haus durchaus bekannt und im Antrag bereits in Erinnerung gerufen. Er trägt nichts zur Beantwortung bei. Außerdem hätte die Verwaltung – durch die Tatsache, dass eine deutliche Mehrheit hinter dem Ansinnen steht – die Abstimmung in einer der nächsten Sitzungen vorbereiten können. Insoweit ist der zweite Satz eine sich erübrigende Frage.

Der nächste Satz thematisiert die Zulässigkeit der Unterstützung in der Sache selbst. Selbstverständlich würde hierfür eine Prüfung zur Zulässigkeit beim RP Teil einer dem Hauptorgan zur Seite stehenden Verwaltungsarbeit dazugehören. Da jedoch auch die Stadt Konstanz in Baden-Württemberg dies tut, könnte sich die Fragestellung auch durch einen Anruf bei der Stadt Konstanz schnell erledigen lassen.

Auf der offiziellen Homepage der Stadt Konstanz ist folgender Text zu lesen:

„Konstanz hat als erste Stadt in Deutschland eine Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff „Sea-Eye 4“ auf dem Mittelmeer übernommen. […] Konstanz hat sich am 26. September 2019 offiziell zum Sicheren Hafen erklärt. Als Bekräftigung des Engagements beschloss der Gemeinderat im Jahr 2020 als erste Stadt in Deutschland, eine kommunale Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff zu übernehmen. Die Wahl fiel dabei auf Sea-Eye e.V., eine Seenotrettungsorganisation, die bereits 2019 mit einer Spende in Höhe von 5.000 Euro seitens der Stadt unterstützt wurde. 2021 wurde die Verlängerung der Patenschaft bis 2026 fraktionsübergreifend einstimmig beschlossen.“

Alles in Allem ist in der Antwort des Oberbürgermeisters keine Bereitschaft erkennbar, sich konstruktiv darum zu kümmern, dass dem im Antrag formulierten Mehrheitswillen des Hauptorgans Genüge getan werden kann.

Um hier endlich zu einem Ergebnis zu kommen, beantragen wir:

  1. Die Verwaltung schafft umgehend Klarheit, ob eine wie im Antrag 176/2023 beantragte finanzielle Unterstützung in Baden-Württemberg zulässig ist.
  2. Die Verwaltung berichtet darüber im nächsten Verwaltungsausschuss am 31. Januar 2024.
  3. Über den Antrag in der Hauptsache entscheidet die Vollversammlung in der darauffolgenden Sitzung des Gemeinderates.