203/2021 | Umsetzung Stuttgart als sicherer Hafen

Interfraktioneller Antrag mit Bündnis 90/Die Grünen, Die FrAKTION, SPD.

Begründung:

Die Situation der Menschen in den Lagern an den EU-Außengrenzen hat sich im Jahr 2020 weiter verschlechtert. Im September brannte das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ab und knapp 13.000 Menschen wurden obdachlos. Doch auch im neuen Lager Kara Tepe ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Die Menschen kampieren unter widrigen Bedingungen und Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt in Zelten. Bei starken Regenfällen werden diese regelmäßig überschwemmt, es gibt kein warmes Wasser und keine sanitären Anlagen. Unter diesen Bedingungen breiten sich nicht nur Covid-19, sondern auch Krankheiten wie Krätze oder Lungenentzündungen rapide aus. Ärzte ohne Grenzen weist zudem auf schwere psychologische Schäden bis hin zu Suizidversuchen bei Kindern hin.

Ein weiteres trauriges Beispiel ist das Camp Lipa in Bosnien-Herzegowina, welches kurz vor Weihnachten abbrannte. Dort müssen um die 1900 Menschen bei Temperaturen bis zu -15 Grad im Freien übernachten. Hinzu kommen Berichte über illegale Pushbacks durch die EU-Grenzschutzbehörde FRONTEX sowie in Seenot zurückgelassene Boote. Diese Zustände verletzen die Menschenwürde und den europäischen Wertekonsens. Es ist unbestreitbar im Interesse der Menschenrechte, diesen Zuständen ein Ende zu setzen.

Bereits im Dezember 2018 hatte sich Fritz Kuhn Oberbürgermeister a.D. an die Bundeskanzlerin gewandt, mit der Forderung die Seenotrettung im Mittelmeer wieder zu ermöglichen und die Aufnahme der geretteten Menschen zu sichern. Im selben Schreiben schloss sich der Ex-OB der Initiative der Städte Düsseldorf, Köln und Bonn vom Juli 2018 an und erklärte, dass Stuttgart in Not geratene Flüchtlinge aufnehmen kann und will. Am 09.04.2020 beschloss die Mehrheit des Gemeinderates der Stadt Stuttgart, sich als Sicherer Hafen aktiv gegen die inhumanen Umstände an den EU Außengrenzen zu engagieren und Menschen auf der Flucht über die Quote hinaus aufzunehmen. Zudem wurde der Antrag 92/2020 „Solidarität auch in Zeiten der Not“ einheitlich beschlossen.

Jetzt ist es an der Zeit, Worten Taten folgen zu lassen. Es müssen konkrete Maßnahmen erarbeitet und angestoßen werden, um die Beschlüsse vom April 2020 umzusetzen und die inakzeptablen Bedingungen für Schutzsuchende in der EU zu beenden.

Daher beantragen wir:

1. Die Stadt Stuttgart unterzeichnet die Potsdamer Erklärung (siehe Anlage).

2. Mit der Erklärung zum Sicheren Hafen im April 2020 hat die Stadt Stuttgart erklärt, die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unterbringung von aus Seenot geretteten Menschen zusätzlich zur Verteilungsquote von Schutzsuchenden sicherzustellen. Wir fordern die Stadt Stuttgart auf, sich dazu zu verpflichten, zusätzlich zur bisherigen Verteilquote 200 geflüchtete Menschen in Stuttgart aufzunehmen. Diese Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten soll auf Menschen aus den Lagern an der EU Außengrenze erweitert werden.

3. Die Stadt Stuttgart setzt sich gegenüber dem Land Baden-Württemberg und der Bundesregierung für die Einrichtung neuer Programme zur legalen Aufnahme von Geflüchteten ein und bietet dazu selbst zusätzliche Aufnahmeplätze an. Dies beinhaltet folgende Punkte:

3a.) Die Stadt Stuttgart fordert die Landesregierung auf, ein eigenständiges humanitäres Aufnahmeprogramm für Geflüchtete gem. § 23 Absatz 1 AufenthG einzuführen und damit Geflüchteten, die legale Einreise nach Deutschland und einen legalen Aufenthalt zu ermöglichen.

3b.) Die Stadt Stuttgart erklärt sich Landes- und Bundesregierung gegenüber bereit, zusätzliche Aufnahmeplätze für Einreisende in diesen Programmen verlässlich zur Verfügung zu stellen.

3c.) Die Stadt Stuttgart als Mitglied des Städtetags und Teil der gemeinsamen "kommunalen Familie" setzt sich beim Land für die Streichung des Satzes 3 des § 23 Abs. 1 AufenthG ein, wodurch das Zustimmungserfordernis des Bundes für eine Flüchtlingsaufnahme entfiele.

3d.) Die Stadt Stuttgart fordert die Einführung einer eigenständigen Norm zur kommunalen Aufnahme entsprechend dem § 23 Abs. 1 AufenthG zur eigenständigen Aufnahme durch die Länder.

4. Die Stadt Stuttgart tritt, wie im April 2020 beschlossen, dem Bündnis „Städte Sichere Häfen“ und darüber hinaus dem mittlerweile gegründeten Bündnis „Sichere Häfen Baden-Württemberg“ bei. Für die aktive Mitarbeit in diesen Bündnissen bestellt die Verwaltung eine/n offizielle/n Vertreter*in als Ansprechpartner*in und Vertreter*in ein, die/der auch die Belange der Bündnisse in der Stadt Stuttgart vertritt.

5. Die Stadt veröffentlicht das Thema „Stuttgart als Sicherer Hafen“ auf ihrer Homepage. Mit der Unterschrift unter die Potsdamer Erklärung und der Veröffentlichung auf der Internetseite wird das Thema „Sicherer Hafen“ sichtbarer. Dadurch wird Solidarität mit geflüchteten Menschen ausgedrückt und Distanz zur gegenwärtigen inhumanen Abschottungspolitik geschaffen.

6. Die am 09.04.2020 im Rahmen der Erklärung zum sicheren Hafen getroffenen Beschlüsse sind zu großen Teilen noch nicht umgesetzt. Wir bitten darum, dass dem Gemeinderat künftig regelmäßig vom Fortgang des Themas „Sicherer Hafen Stuttgart“ und zudem im Rahmen des jährlichen Flüchtlingsberichtes berichtet wird.

Stellungnahme lesen