55/2024 | Stuttgart als Modellkommune: Elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete

Interfraktioneller Antrag von PULS, Die Grünen, SPD, Die FrAKTION sowie Einzelstadträtin Sibel Yüksel

Wir beantragen:

Die Verwaltung legt den zuständigen Ausschüssen des Gemeinderates im 2. Quartal 2024 folgende Anträge zur Beratung und Entscheidung vor:

1. Die Verwaltung wird beauftragt, mit dem Land Baden-Württemberg Gespräche aufzunehmen, um die landesweite Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber*innen einzufordern, die den Krankenkassen die Prüfung der Richtigkeit ärztlicher Abrechnungen überträgt.

2. Die Landeshauptstadt Stuttgart bewirbt sich beim Land Baden-Württemberg als Modellkommune für die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte.

Begründung:

In Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtiger denn je, Bürokratie abzubauen, um unsere Ämter zu entlasten und Bürger*innen eine effektive Bearbeitung von Anliegen bereitzustellen. Die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) für Asylbewerber*innen ist hierfür ein wichtiges Element:

- Freiwerdendes qualifiziertes Verwaltungspersonal kann sich anderen Verwaltungsaufgaben widmen.

- Asylbewerber*innen erhalten mit der eGK ein verständliches Instrument, mit dem sie in gesundheitlichen Stresssituationen nicht überfordert sind.

- Krankenkassen, die bereits über einen großen Erfahrungsschatz im Gesundheitsservice für Arztpraxen, Kliniken und Patient*innen verfügen und diesen prozessoptimiert anbieten, werden mit der Aufgabe der Krankenhilfe beauftragt. Die Kommunikation zwischen Patient*innen, Behörde, Arztpraxen und Kliniken wird dadurch erleichtert. Digitale Brüche wie die Verwendung von Behandlungsscheinen in Papierform werden abgeschafft. Arztpraxen und Kliniken werden somit in doppelter Hinsicht entlastet.

- Weitere Fachkräfte wie Sozialarbeiter*innen, die von Asylbewerber*innen und Fachämtern in den Erklärprozess des komplexen Behandlungsschein- und Krankenhilfeverfahren einbezogen werden, werden zeitlich entlastet und können sich ihren eigentlichen Aufgaben der Sozialarbeit widmen.

- Wir erhoffen uns zudem durch die eGK eine wesentlich schnellere ärztliche Behandlung und Diagnose, die schwere Erkrankungen bzw. Folgeerkrankungen für Patient*innen und somit auch höhere Kosten für den Staat und die Steuerzahler*innen möglichst verhindern kann.

Die Stellungnahme der Verwaltung zu unserem Frageantrag 171/2023 bestätigt, dass im genannten Aufgabenbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) bei mehr Personalaustritten als -eintritten und hohen Überstünden bereits ein Fachkräftemangel von mehr als 9 Stellen vorliege. Zugleich binde das bisherige Ausgabesystem von analogen Behandlungsscheinen nicht nur 2 Mitarbeiter*innen in der Abrechnung, sondern zusätzliches Fachpersonal für die Ausgabe der Behandlungsscheine in der Allgemeinen Verwaltung, dem Bürgerservice sowie bei den Betreuer*innen in den Unterkünften für Geflüchtete. Der Prozess sei zudem nur teilweise automatisiert und binde dadurch immer wieder zusätzlich Personal z. B. bei Nachfragen und Postversand. Hinzu kommen Einzelfallprüfungen durch den amtsärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes.

Entsprechend befürworte die Verwaltung die Einführung der eGK zur Entlastung der Fachkräfte der Stadtverwaltung, denn die eGK führe im An- und Abmeldeverfahren und bei der Abrechnung zu einer Entlastung des Sozialamtes.

Sechs Bundesländer haben die eGK bereits eingeführt und laut einer Studie des Universitätsklinikum Heidelberg liegen u. a. folgende gesicherte Erkenntnisse vor:

- "Die Einführung der eGK für Asylsuchende erleichtert administrative Prozesse und führt nicht zu Kostensteigerungen.

- Durch die eGK werden Hürden bei der Inanspruchnahme für Asylsuchende abgebaut und Abrechnungsprozesse für Leistungserbringer erleichtert" (Universitätsklinikum Heidelberg 2021).

"So konnten beispielsweise in der Hamburger Sozialbehörde Kosten in Höhe von rund 1,6 Mio Euro pro Jahr eingespart werden" (Burmester 2015).

Voraussetzung für die Vereinbarung über eine eGK ist, dass das Land Baden-Württemberg in seiner Funktion als Kostenträger der Leistungen nach dem AsylbLG die Krankenkassen auffordert, die Leistungsgewährung zu übernehmen (§ 264 Abs. 1 SGB V). Da die Landesregierung bisher kein eigenständiges Interesse an der Einführung einer eGK für Asylbewerber*innen zeigt, ist es im Interesse der gesamten kommunalen Familie, dass die Stadt Stuttgart eine Vorreiterrolle einnimmt, indem Gespräche mit der Landesregierung gesucht werden, um eine landesweite Einführung der eGK einzufordern. Um eine Brücke zu bauen, soll sich die Stadt Stuttgart sogleich als Modellkommune bewerben, um eine zügige Einführung der eGK zu erreichen. Dadurch können eigenes Personal, Ärzte, Kliniken und die Steuerzahler*innen entlastet werden und eine moderne Gesundheitsversorgung angeboten werden.

Quellen:

[Universitätsklinikum Heidelberg 2021]: Gold AW, Weis J, Janho L, Biddle L, Bozorgmehr K. (2021) Die elektronische Gesundheitskarte für Asylsuchende. Zusammenfassung der wissenschaftlichen Evidenz. Health Equity Studies & Migration – Report Series, 2021-02. DOI: https://doi.org/10.11588/heidok.00030347

[Burmester 2015]: Burmester F (2015) Medizinische Versorgung der Leistungsberechtigten nach §§ 4 und 6 AsylbLG über eine Krankenkasse. Public Health Forum 23:106–108. https://doi.org/10.1515/pubhef-2015-0039