56/2023 | Rekommunalisierung der Stuttgarter Wasserversorgung – offene Fragen des Vergleichsvorschlags klären (GRDrs 811/2022)

Interfraktioneller Antrag von Die Grünen, SPD, Die FrAKTION und PULS

Wir bitten um schriftliche Beantwortung folgender Fragen:

1. Warum waren die Grundstücke, die zur Stuttgarter Wasserinfrastruktur gehören, bisher nicht Teil des Vergleichsvorschlags? Welche Auswirkungen hätte es, wenn die betriebsnotwendigen Grundstücke der Stuttgarter Wasserversorgung auch nach Übergang des Wasserbetriebs auf die Landeshauptstadt Stuttgart weiter in der Hand der EnBW wären?

2. Welchen Wert haben diese für den Betrieb der Wasserversorgung notwendigen Grundstücke und welche Summe müsste die LHS daher für den Rückkauf einplanen?

3. Weshalb wurde im Vergleichsvorschlag keine Change-of-Law-Klausel aufgenommen, die bei veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen (EU-Recht oder Freihandelsabkommen wie CETA) ein unmittelbares Vorkaufsrecht der Stadt Stuttgart formuliert?

4. Welche Auswirkung hat die Ratifizierung des CETA-Freihandelsabkommens auf einen möglichen Verkauf des Stuttgarter Wassernetzes von der EnBW an die Stadt Stuttgart?

5. Mit welcher Preisspanne rechnet die Stadtverwaltung, wenn das Verfahren zur Unternehmensbewertung nach IDW S1 angewendet werden würde? Von welcher Preisentwicklung ist auszugehen, wenn dieses Verfahren in 5 oder 10 Jahren angewendet werden wird?

6. EnBW selbst hatte im Jahr 2009 (GRDrs 185/2009) 160 Millionen Euro für den Wasserversorgungsbetrieb aufgerufen. Im Jahr 2014 war dann plötzlich von 750 Millionen Euro die Rede, 2017 waren es dann 626 Millionen Euro und im Jahr 2018 dann schließlich 480 Millionen Euro. Wie kam es zu solch gravierenden Preissprüngen aus Sicht der Stadtverwaltung und welche Rolle hat dies in den bisherigen Vergleichsverhandlungen gespielt?

7. Wie wurde die Aktienbewertung der TWS-Aktien beim Verkauf 2002 vorgenommen? Gab es hier einen gesonderten Ansatz für die Wasserversorgung? Falls ja, in welcher Höhe?

8. In den Jahren vor 2009 lagen die Umsatzerlöse des Stuttgarter Wasserversorgungsbetriebs bei rund 80 Millionen Euro jährlich (siehe GRDrs 185/2009).

a. Was bedeutet das genau und lässt sich daraus ein Ertragswert für den Stuttgarter Wasserversorgungsbetrieb ermitteln?

b. Wie hoch schätzt die Verwaltungsspitze die tatsächlichen Erlöse aus dem Betrieb der Stuttgarter Wasserversorgung durch die EnBW in den letzten Jahren?

9. Welche betriebswirtschaftlichen Daten zum Wasserversorgungsbetrieb können als Umweltinformationen nach dem UVwG verlangt werden?

10. Welche wirtschaftlichen und rechtlichen Veränderungen ergeben sich für den Betrieb der Stuttgarter Wasserversorgung durch die Klimakrise?

a. Wie nimmt die Stadt ihre Pflichten nach § 50 WHG und § 44 WG wahr?

b. Ist der Stadtverwaltung ein Wasserkonzept für Stuttgart bekannt? Was beinhaltet dieses?

Begründung:

Trinkwasser ist eine grundlegende Ressource der Daseinsvorsorge und darf deshalb weder privatisiert noch einer gewinnorientierten Wirtschaftsform unterworfen werden. In Stuttgart wurde diese Erkenntnis nach dem Verkauf der Wasserinfrastruktur Anfang der 2000-er Jahre von rund 27.000 Stuttgarter*innen eingefordert. Das Bürgerbegehren „100 Wasser“ wurde am 17. Juni 2010 nicht nur für zulässig erklärt, sondern auch vom Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit bei nur 6 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen beschlossen.

In der Folge kam es zu einem Rechtsstreit vor dem Stuttgarter Landgericht, der bis heute ungelöst ist. Mit dem Vergleichsangebot vom November 2022 hat die Stuttgarter Verwaltungsspitze einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der aus unserer Sicht unzureichend und nicht erschöpfend ist.

Teil des Beschlusses war damals: „Die Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) wird die Stuttgarter Wasserversorgung frühestmöglich, spätestens aber ab 01.01.2014 selbst betreiben“. Bekanntlich kam es dazu nicht. Aus unserer Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass das Ziel des Bürgerbegehrens frühestens im Jahr 2042 umgesetzt wird.

Auch können sich rechtliche Rahmenbedingungen auf europäischer und internationaler Ebene, insbesondere im Wettbewerbsrecht, ändern. Somit könnte ein direkter Verkauf der Netze BW Wasser von der EnBW an die Stadt Stuttgart zukünftig unzulässig sein bzw. verhindert werden. Die Pflicht zu einer europaweiten oder internationalen Ausschreibung wäre fatal, denn damit bestünde die Gefahr, dass das Stuttgarter Wassernetz in die Hände von profitorientierten Unternehmen fällt. Mit der Aufnahme einer sogenannten Change-of-Law-Klausel könnte dies verhindert werden. Bevor eine Änderung der Rechtslage in Kraft tritt, hätte die Stadt ein unverzügliches Vorkaufsrecht – damit wäre sichergestellt, dass das Stuttgarter Wassernetz in kommunale Hand gelangen kann. Eine solche Change-of-Law-Klausel fehlt aber im vorliegenden Vergleichsentwurf und bildet damit ein Einfallstor für die Verhinderung der Rekommunalisierung der Wasserversorgung.

Der Wert eines Unternehmens wird üblicherweise durch eine Wirtschaftsprüfung mittels eines sogenannten Verfahrens nach IDW S1 durchgeführt. Die darin enthaltenen Kriterien bieten aber offenbar einen sehr weiten Interpretationsspielraum, sodass nicht absehbar ist, welcher Wert einem Unternehmen zugeschrieben werden wird. Im Falle des Vergleichsvorschlags der Verwaltungsspitze besteht somit ein großes Risiko, sich auf einen unabsehbar hohen Kaufpreis eingelassen zu haben. Wir halten es für dringend geboten, dass ein fester Kaufpreis Teil einer Vergleichsvereinbarung zwischen EnBW und der Stadt Stuttgart verhandelt werden muss.

Mehrere Umweltverbände bemühen sich um den Zugang zu Daten der Netze BW Wasser im Rahmen der Herausgabe von Umweltinformationen nach dem UVwG, was ihnen aktuell verweigert wird. Unseres Erachtens sollte auch die Stadt Stuttgart entsprechende Anstrengungen unternehmen, auf die Herausgabe der Umweltinformationen hinzuwirken – insbesondere betriebswirtschaftlicher Daten. Schließlich handelt es sich ja auch nach Auffassung der Stadtverwaltung um ein Unternehmen in öffentlicher Hand.