150/2023 | Da geht noch mehr! Photovoltaikpotential im Stadtgebiet systematisch ermitteln und das realisierbare Potential maximieren

Interfraktioneller Antrag von SPD, Die FrAKTION und PULS

Der am 21. April 2023 von der Stadtverwaltung vorgelegte Sachstandsbericht über den aktuellen Ausbaustand bei der Photovoltaik hat – sehr überraschend – das realisierbare Photovoltaik-Potenzial in Stuttgart für das Zieljahr 2035 auf 520 Megawattpeak (MWp) reduziert. Das ist etwa ein Drittel der eigenen Abschätzungen von Anfang 2022. Dies entspricht, nach gängiger Umrechnung, einer Jahresleistung von rund 500 Gigawattstunden (GWh) oder einem Betrag von weniger als 10% des zu erwartenden Stuttgarter Strombedarfs im Jahr 2035. Damit rückt das Ziel eines klimaneutralen Stuttgarts im Jahr 2035 in unerreichbare Ferne, da dann fossil befeuerte Großkraftwerke im Süden Deutschland weiterhin für die Stromerzeugung gebraucht werden. Nur wenn auch die großen Städte ihren Beitrag zur regenerativen Energieerzeugung erbringen, können ambitionierte Ziele erreicht werden.

Um ambitionierte Ziele erreichen zu können, braucht es Klarheit hinsichtlich der theoretischen und daraus abgeleitet realisierbaren Potentiale zum PV-Ausbau im Stadtgebiet. Hierzu ist zunächst eine Aufbereitung vorliegender Potentialabschätzungen und deren Annahmen erforderlich. Weiterhin erscheint eine detaillierte und wissenschaftlich fundierte Potentialanalyse geboten, die auch digitale Zwillinge mit Gebäudemodellen und der Einbindung von soziodemokratischen Daten nutzt ("State-of-the art"-Analyse).

Die am 21.04.2023 vom AfU vorgestellte Verdreifachung der PV-Zubaurate für das Jahr 2024, der Aufbau von "Solar-Scouts/-Ratgebern" und die Erschließung neuer Potentiale wie Verkehrs- und Freiflächen bleiben davon unberührt und wird ausdrücklich begrüßt.

Aus folgenden Gründen sind jedoch Zweifel an den neuen Abschätzungen und der daraus abgeleiteten neuen Zielsetzung für den PV-Ausbau (vorgestellt vom AfU auf der AKU-Sitzung am 21. April 2023) angebracht:

1. Sie stehen im Widerspruch zu früheren Potenzialabschätzungen

So hieß es noch in der vom Fraunhofer IPB und der Universität Stuttgart im Jahr 2017 erstellten Studie Masterplan 100 % Klimaschutz der Landeshauptstadt Stuttgart: "Das Potenzial erneuerbarer Ressourcen zur Energieerzeugung im Stadtgebiet Stuttgart liegt bei 5.018 GWh. Das weitaus größte Potenzial besitzen mit 3.600 GWh Solaranlagen [...]". Die Net-Zero-Studie von McKinsey aus dem vorigen Jahr bezieht sich auf Potentialanalysen des AfU mit einem Potenzial regenerativer Energieerzeugung im Stadtgebiet von immerhin 2.100 GWh. Davon sollen 1.500 GWh von Solaranlagen auf Gebäuden und 400 GWh auf Freiflächen beigesteuert werden.

2. Das theoretische Potenzial wird zu gering eingeschätzt

Zum theoretischen Potenzial gehört lt. Fraunhofer ISE (www.pv-fakten.de) die maximal mögliche Umsetzung einer Technologie auf Basis des gesamten Angebots (physikalische Überschlagsrechnung). Das sind zunächst mal sämtliche Dachflächen, also von Wohngebäuden und sogenannten Nichtwohngebäuden, unabhängig von ihrer geografischen Ausrichtung. Mit berücksichtigt werden auch Nebengebäude, Carports, Garagen, Gartenhäuser etc. Ebenfalls dazu gehören sämtliche anderen überbauten und versiegelten Flächen wie Parkplätze, Straßen und Bahntrassen begleitende Bauten. Zu den Freiflächenpotenzialen gehören Lärmschutzwände und -böschungen sowie alle freien Flächen wie Ödflächen, Brachen, Deponien, Abraumflächen, das Umfeld von Flughäfen, Veranstaltungsorten und Sportanlagen sowie Wasserflächen. Nicht dazu gehören landwirtschaftlich genutzten Flächen, selbst wenn diese aufgrund von Bebauungsplänen für Solarparks und/oder Agri-PV geöffnet werden sollten und Straßen- bzw. Bahntrassen selbst. Hier ergeben sich also weitere Potentiale.

3. Die Differenz zwischen dem theoretischen und dem realisierbaren Potenzial wird als unüberwindbar angenommen.

Das AfU reduziert das theoretische Potenzial um fast 60% zum technischen Potenzial und dieses wiederum zum wirtschaftlich-praktischen Potenzial um rund 40%. Diese Reduzierungen sind sehr hoch angesetzt und nicht durch Datenerhebungen untermauert. Außerdem sind die genannten Hemmnisse wie statisch ungeeignete Dächer, stark verschattete Dächer oder Dächer mit Gauben keine unabänderbaren Bedingungen. Das gleiche gilt für die Hemmnisse, die beim wirtschaftlich-praktischen Potenzial aufgerufen werden: "Finanzierung nicht darstellbar", "Nicht mehrheitsfähig in WEG" oder "Keine Priorität seitens Unternehmen". Diese vermeintlichen Hemmnisse können technisch oder argumentativ reduziert oder aus dem Weg geräumt werden. Ungeeignete Dachflächen können in geeignete umgewandelt werden, für Wohnungseigentumsgemeinschaften (WEG) können Modelle gefunden werden, die eine Nutzung der Dachflächen einfach und handhabbar machen, Dachflächen, die aus finanziellen Gründen nicht mit PV belegt werden, können vermietet werden (z.B. an Bürgerenergiegemeinschaften).

Diese Abschläge werden maßgeblich durch die unterstützenden Maßnahmen durch die Stadtverwaltung und die Förderprogramme beeinflusst. Hier muss die Projektarbeit ansetzen. Eine Verringerung der Potenzialabschläge jeweils mindestens auf die Hälfte sollte möglich sein.

Es fehlen bis heute wirklich verlässliche Zahlen zum solaren Potenzial auf dem Stadtgebiet. Alle bislang genannten und veröffentlichen Zahlen sind geschätzt und variieren schon aufgrund unterschiedlicher Annahmen und Vorgehensweisen. Es wäre deshalb nötig eine Datenerhebung durchzuführen oder in Auftrag zu geben, die gebäude- und flächenscharf das solare Potenzial im Stadtgebiet ermittelt. Die bereits sehr fortgeschrittenen Geoinformationssysteme in Verbindung mit dem Gebäudekataster bieten hier eine gute Grundlage.

Wir beantragen daher:

1. Die Stadtverwaltung erarbeitet im Rahmen des Steckbrief 2 "Ausbau der Photovoltaik" Maßnahmen, die insbesondere auf die Verringerung der Differenzen zwischen theoretischem und realisierbaren Potential zielen.

2. Die Stadtverwaltung stellt noch vor der Sommerpause den konkreten Maßnahmenplan und die erforderlichen Überarbeitungen der Förderprogrammen vor, um im ersten Schritt die für das Jahr 2024 durch das AfU vorgeschlagene Verdreifachung der PV-Zubaurate auf 23,4 MWp/a (gegenüber 8 MWp/a in 2022) zu erreichen.

3. Die Stadtverwaltung erhebt begleitend zu den laufenden Projektarbeiten gebäude- und flächenscharf das solare Potential im Stadtgebiet. Die Datenerhebung erfolgt unter Einbindung wissenschaftlicher Einrichtungen (wie z.B. dem Fraunhofer ISE). Die daraus abgeleiteten Potentialabschätzungen werden auch im Vergleich zu früheren Ergebnissen begründet.

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