Christian Walters Rede zum Doppelhaushalt

Am 24. Oktober 2019 haben alle Fraktion im Gemeinderat ihre Reden gehalten, in denen sie die Schwerpunkte ihrer Anträge präsentiert haben.

Für PULS hat unser Co-Fraktionsvorsitzender Christian Walter gesprochen:

"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauende,

ich freue mich, heute für unsere Fraktionsgemeinschaft PULS sprechen zu dürfen und möchte die Gelegenheit nutzen, um uns noch einmal kurz vorzustellen. PULS hat sich zusammengefunden aus der sehr guten Partei DIE PARTEI, aus den Stadtisten und aus der Jungen Liste Stuttgart. Wir haben uns für die Haushaltsplanberatungen vorgenommen, eine konstruktiv-pragmatische Rolle einzunehmen, eigene Ideen einzubringen und gleichzeitig offen zu sein für gute Vorschläge der anderen Fraktionen.

Mit unseren eigenen Anträgen bewegen wir uns dabei im Rahmen des finanziell Möglichen. Wir erkennen an, dass sich die Konjunktur absehbar eintrüben wird und sich leider nicht alle Notwendigkeiten und schon gar nicht alle Wünsche im Haushalt umsetzen lassen werden. Tendenziell ohne neue Schulden auszukommen, erachten wir aufgrund der Generationengerechtigkeit als durchaus zielführend.

Nun hat die Verwaltung in Person von Herrn Oberbürgermeister Kuhn und Herrn Finanzbürgermeister Fuhrmann ihre grüne Liste vorgelegt. Für uns ist es ganz wichtig festzuhalten, dass sich darin viele gute und unterstützenswerte Dinge finden – beispielsweise die zahlreichen Maßnahmen aus dem Aktionsplan kinderfreundliche Kommune, die Fortführung des Tarif Plus für Erzieher*innen, das zusätzliche Personal zur Überwachung von Falschparkern auf Fahrradwegen, das kostenlose Seniorenticket für ältere Menschen, die ihren Führerschein abgeben, das Paket Inklusion 2.0 und viele viele mehr! Und natürlich halten wir das Klimapaket für einen essenziellen und notwendigen Schritt in die richtige Richtung, dafür haben wir viele Ideen und werden sie einbringen. Denn Schutz und Erhalt unser aller Lebensgrundlage muss in sämtlichen politischen Entscheidungen hohe – wenn nicht höchste - Priorität genießen.

Allerdings muss man auch – ganz sachlich analysiert – feststellen, was alles im momentanen Haushaltsentwurf fehlt. Da das unterm Strich einiges ist, glauben wir nicht, dass wir mit den vorhanden liquiden Restmitteln auskommen können. Wir sind deshalb offen für die neu einzuführende Kulturabgabe für Übernachtende und würden außerdem gerne die intelligente Grundsteuersenkung abschaffen. Hinsichtlich der Grundsteuer denken wir, dass sich ein neu gewählter Gemeinderat auch ein Stück weit freimachen kann von den Entscheidungen der Vorgänger.  

Besonders am Herzen liegt uns der Bereich Jugend, Bildung, KITA.

Hier fehlen uns wichtige Maßnahmen im jetzigen Entwurf und bei einigen ist das gänzlich unverständlich. Nehmen wir als Beispiel den Ganztag an Schulen: Hier hat die Fachverwaltung ein geniales Berichtswesen etabliert, das eine sehr gute Analyse für die notwendigen Verbesserungen im Ganztagesbereich aufzeigt. In zahlreichen Ausschusssitzungen wurden die Analysen breit debattiert. Folgerichtig legt die Verwaltung in der roten Liste nun eine 37-Millionen-Euro-Vorlage mit Verbesserungen vor, Folge-falsch ist davon aber nichts auf der grünen Liste zu finden. Das gleiche Spiel zeigt sich bei der Förderung der freien KITA-Träger: In Arbeitsgruppen wurden zwischen Fachverwaltung und den Vertretern der Träger Lösungsmöglichkeiten für die zukünftige Förderung erarbeitet, aber nichts davon wird von der Verwaltungsspitze übernommen. Zu Recht haben die Vertreter im Jugendhilfeausschuss hier die Sinnhaftigkeit der Verhandlungen in den Arbeitsgruppen infrage gestellt. Das ist tatsächlich nicht der Umgang mit Trägern, den wir uns wünschen würden. Zur künftigen Finanzierung der freien KITA-Träger haben wir nun einen Vorschlag vorgelegt; ebenso wünschen wir uns die dauerhafte Finanzierung des Tarif Plus über 2021 hinaus.

Was bedeutet die grüne Liste für den Ausbau der Schulsozialarbeit, der Kinder- und Familienzentren sowie der Stadtteilzentren? Stillstand, im besten Fall. Wir bedauern es, dass diese Themen – ebenso wie etwa Sanierungen bei der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft oder viele notwendige Beratungsangebote für Jugendliche im LSBTTIQ-Bereich und in der Jugendberufshilfe – nur auf der roten Liste gelandet sind und nun erst einmal Mehrheiten im Gemeinderat finden müssen. Natürlich stellen wir auch hierzu Anträge.

Eine zentrale Forderung unserer Fraktionsgemeinschaft ist ein 365€-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Ein guter Ansatzpunkt für einen ersten Schritt ist hier das von der Stadt bezuschusste Scool Abo. Der Funfact, dass in Stuttgart wohnhafte Lehrkräfte dank der Förderung des Landes für 25€ im Monat fahren, hat uns dazu veranlasst, auch für die Schülerinnen und Schüler ein Abo für 25€ im Monat bzw. 300€ im Jahr zu beantragen. Ziel sollte sein, dass junge Menschen sehr früh an die Nutzung des ÖPNV gewöhnt werden. Deshalb ist es hilfreich, dieser Motivation so gut es geht seitens der Stadt finanziell entgegenzukommen.

Wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, unschwer erkennen können, liegen die Schwerpunkte unserer Anträge vor allem in den Bereichen Soziales, Jugend, Sport, Kultur und Bildung. Im sozialen Bereich setzen wir uns für zahlreiche Institutionen und Angebote ein, beispielsweise: Das MedMobil, das Rudolf-Sophien-Stift, aber auch für die weitere Verbesserung der Geburtshilfe in Stuttgart, das Projekt 100% Mensch und für Unterstützungsangebote für Frauen in prekären Lagen. Ein besonderes Anliegen ist uns die Paulinenbrücke, in doppelter Hinsicht: Hier setzen wir uns dafür ein, eine Infrastruktur für die dort seit Jahrzehnten sesshafte Szene von Suchtkranken und Obdachlosen zu entwickeln, die auch zur Konfliktentschärfung mit den Nachbarn beitragen kann, wie etwa die Installation von festen Toiletten und einer Art Wohnzimmer. Auch diese Stuttgarterinnen und Stuttgarter, auf dem Österreichischen Platz fest angestammt lange vor dem Kaufhaus Gerber und den Stadtlücken, verdienen unsere Wertschätzung.

Eine Stadt, die etwas auf sich hält, muss auch soziale Spannungsfelder aushalten können. Hier die Aufhübschung der Tübinger Straße und des Österreichischen Platzes, an gleicher Stelle aber eben auch Respekt und Wertschätzung gegenüber jenen Stuttgarterinnen und Stuttgartern, die seit mehr als 40 Jahren unter der Paulinenbrücke fest angestammt sind. Natürlich haben wir auch die langfristige Entwicklung des Ortes als kooperativen Stadtraum im Sinne der Stadtlücken im Auge, und generell erachten wir den öffentlichen Raum und dessen Gestaltung als ein Hauptaugenmerk der Stadtplanung.

Zum Thema Sport: Hier wurden in einem Zukunftsworkshop zum Thema Sport 2030 unter breiter Beteiligung der Vereine, der Ämter etc. die Bedarfe erhoben und es wurde sich auf ein weiteres Vorgehen geeinigt. Dass derzeit nur 75% der Hallenbedarfe gedeckt sind, ist unbestritten. Und doch finden sich zahlreiche baureife Hallenprojekte nur in der roten Liste. Das ist aus unserer Sicht kein gutes Signal hinsichtlich der Wertschätzung der beteiligten Akteure und natürlich haben wir hierzu Anträge gestellt. Besonders bedenklich ist das Ganze dann noch, wenn man sieht, dass es die Mercedes-Benz-Arena auf Anhieb in den Entwurf der Verwaltung geschafft hat. Wir hätten uns in der grünen Liste weniger Leuchttürme und mehr Verbesserungen für die breite Bevölkerung gewünscht. 

Ähnlich gelagert ist der Fall „Masterplan Urbane Bewegungsräume“. Auch hier wurde unter breiter Bürgerbeteiligung vom Sportamt ein super Masterplan erstellt, der es jetzt seltsamerweise nur in die rote Liste geschafft hat. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es zu dem Verständnis von Bürgerbeteiligung denn nicht auch gehört, ein solches Vorhaben dann gleich in die grüne Liste aufzunehmen. Ein Mountainbike-Konzept für legale Trails findet sich auch in unseren Anträgen.

Ohne Kultur ist alles nichts. Auch in Anbetracht der Mittel, die für die Spitzenkultur –  etwa für die Sanierung der Oper – benötigt werden, halten wir es für unverzichtbar, in diesem Haushalt die Kultur stark in der Breite zu fördern. Denn Kunst und Kultur fallen nicht vom Himmel – sie brauchen Nährböden und Keimzellen. Deshalb sind wir offen für die bereits erwähnte Kulturabgabe. Hiermit kann eine Vielzahl kultureller Einrichtungen neu oder höher institutionell gefördert werden. Besonders wichtig ist uns beispielsweise hier die institutionelle Förderung der Kulturinsel in Bad Cannstatt, gerade auch im Hinblick auf eine Art gewachsenes, vielseitiges Nachbarschaftszentrum im neuen Neckarpark. Aber auch andere tolle Ideen sollten eine Förderung erfahren, wie etwa das Foodsharing-Café Raupe Immersatt, Chloroplast in Weilimdorf oder auch das Club Kollektiv. Hier werden wir die Idee eines Nachtbürgermeisters wohlwollend begleiten. Auch die Stelle für temporäre Projekte für Kunst und Kultur im öffentlichen Raum sollte geschaffen werden. Förderungen für das großartige Theater Rampe und das Kulturzentrum Merlin sind für uns Selbstverständlichkeiten.

Im Infrastrukturbereich unterstützen wir unter anderem das Reallabor-Projekt „täglich in Bad Cannstatt“, das sich mit dem Wilhelmsplatz auseinandersetzt, sowie die Sanierung des Schwabtunnels im Stuttgarter Westen. Offen sind wir für eine Neuausrichtung unserer städtischen Gelder in der SVV und einen höheren Zuschuss für die SSB, wenngleich wir hierzu bisher keine eigenen Anträge gestellt haben. Dies ist – nebenbei bemerkt – in einigen Bereichen der Fall: Wo wir bereits wissen, dass aus dem Kreis der geschätzten Kolleginnen und Kollegen gute Anträge kommen, haben wir oft auf eigene Anträge verzichtet. 

Dies betrifft auch den Bereich Wohnen. Hier zeigt sich im HH-Entwurf ja nun, gemäß dem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats, die Trendumkehr ab, dass mehr Geld für Grundstückskäufe der Stadt als für Verkäufe eingeplant ist. Auch der Idee einer Kapitalerhöhung für die SWSG stehen wir aufgeschlossen gegenüber.

Zu guter Letzt möchte ich noch auf zwei Projekte kommen, die unsere ganz besondere Wertschätzung genießen. Herzensprojekte, sozusagen. Zum einen ist dies die Unterstützung des Vereins Unsere Zukunft und ihres Projektes namens „Demokratie Labor“. Viele Mitglieder des Gemeinderats werden sich an die über 40 Veranstaltungen des Vereins vor der Kommunalwahl erinnern, die rein ehrenamtlich auf die Beine gestellt wurden. Wir halten es für eine hervorragende Idee, die Veranstaltungen auch zwischen den Wahlen durchzuführen und so den direkten Austausch zwischen den gewählten Vertreterinnen und Vertreten mit der Bürgerschaft zu fördern. Die notwendigen 120.000€ pro Jahr verstehen wir als direkte Investition in die Demokratie.

Unser zweites Herzensprojekt ist die Rosensteinbrücke. Zur Wahrheit gehört, dass die Idee des Erhalts dieser Eisenbahnbrücke, die durch Stuttgart 21 überflüssig wird, ursprünglich von Peter Mielert von den Grünen in Bad Cannstatt kommt. Unsere Vision geht allerdings weiter und wir wollen jetzt einen ersten Schritt unternehmen, indem wir die Verwaltung auffordern, erste Eruierungen bezüglich der Machbarkeit und der Kosten zu unternehmen. Wir stellen uns auf der Brücke in Zukunft eine vielfältige, generationenübergreifende und entschleunigte Nutzung vor: Sport- und Kinderspielflächen, Cafés, Kneipen, viel Grün usw. Die Brücke kann ein Aushängeschild für die Stadt, gar etwas weltweit Einmaliges werden. Dieser Brückenschlag zwischen Cannstatt und der an den Fluss heranrückenden Stuttgarter Innenstadt lässt zudem den Neckar neu erleben. Hierfür werben wir um Unterstützung, das kann richtig, richtig gut werden. An dieser Stelle auch Dank an Suse Kletzin von der SPD, die uns beim Antrag zur Seite stand.

Abschließen möchte ich mit dem Motto der Stadtisten, das wir uns für den gegenseitigen Umgang und die Wertschätzung für die vielen verschiedenen, oft guten Ideen der Fraktionen in den Haushaltsplanberatungen wünschen:

Auf gute Nachbarschaft!"